79 Fulvias setzte das Reparto Corse Lancia in Rallyes und Rennen ein, aber wie kann man diese identifizieren? Ja, an der Turiner Zulassungsnummer, aber …
Ich habe Sie bereits mit mehreren Beiträgen zur Sportgeschichte von Lancia gelangweilt, weil aber in den letzten Monaten die Zugriffszahlen bei diesen Artikeln signifikant angestiegen sind, nehme ich an, dass dieses Thema doch nach einiger Anlaufzeit einen größeren Interessentenkreis gefunden hat.
Die Beiträge
- Schatztruhe Technisches Museum (Wien) vom September 2004
- Alpenfahrt III vom August 2005 (HF Squadra Corse in Österreich)
- Fulvia nowhere vom März 2010 („Überlebende“ Werks-Fulvias)
- Gedeckter Tisch vom März 2010 (Flavia-Sportgeschichte)
- Söldner in Turin vom April 2010 (Nicht-Italiener in der HF Squadra Corse)
- Fulvia–Datensumpf vom Mai 2010 (Statistiken)
- Nachrufe auf Tony Fall vom Dezember 2007, auf Pat Moss-Carlsson im Oktober 2008 und Harry Källström im September 2009
konnten datenmäßig mit den Ergebnissen einer über zehnjährigen Recherche ergänzt werden, welche erst den Umfang der Einsätze von Lancia beim Sport mit Flavia und Fulvia deutlich machten.
Kleine, italienische Nummerntafeln…
Wenn Sie die Bücher über die englischen Rallyefahrzeuge (Ford Escort, Mini oder Austin Healey) oder Renault Alpine genau anschauen, entdecken Sie im Anhang umfangreiche Aufstellungen, welches Fahrzeug wann und wo eingesetzt worden war und teilweise auch wohin es nach Ausscheiden aus dem „Werksdienst“ gekommen ist. In Italien ist man erst spät zu einem solchen Geschichtsbewusstsein gekommen, über Stratos, Fiat 124 Abarth und 131 gibt es seit Jahren aussagefähige Zusammenstellungen. Doch für die „Pioniere“ der Turiner Rallyegeschichte wie Lancia Flavia und Fulvia sucht man solche Aufstellungen vergebens.
Für die Flavia gibt es genau ein Buch von W.O. Weernink „The Lancia Fulvia and Flavia“ aus dem Jahre 1984, in welchem die Liste der eingesetzten Fahrzeuge (italienischer Fachausdruck „telaio“) zu finden ist. Aber: Nur die Chassisnummern ohne Zuordnung zu den Straßenzulassungsnummern. Und wie soll man nun erkennen, welche Flavia nun mit der Turiner Nummer TO 714001 (um die prominenteste Flavia Sport herauszugreifen) welche Chassisnummer hatte.
Für die Fulvia geht das schon besser. Es gibt zwei Bücher, das oben erwähnte von W.O. Weernink und Enzo Altorios „Lancia Fulvia HF“, wo man die Basis für die Zusammenstellung der Fulvia-Sportgeschichte finden kann: die vollständige Liste der 79 telaios mit zugehöriger Turiner Zulassungsnummer. Heureka – aber mit einem „kleinen“ Wermutstropfen – siehe Titel des Berichtes. Warum waren die italienischen Nummerntafeln so klein?
Nahezu alle Nummerntafeln von Fahrzeugen aus anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland kann man ohne große Mühe, zwar meist ordentlich verdreckt und teilweise verbeult, lesen. Aber italienische Nummerntafeln an der Vorderseite – die waren winzig, aber genau so oft verdreckt und verbeult.
Nachdem es keine offiziellen Aufzeichnungen des Reparto Corse Lancia gibt, haben nun einige Lancia-Fans mit Hilfe von zeitgenössischen Zeitschriften, Büchern, Fotos und Unterlagen von Veranstaltungen begonnen das Puzzle der vom Werk edingesetzten Fahrzeuge zusammenzusetzen. In Frankreich www.forum-auto.com und Italien www.rallymania.forumfree.it werden in Blogs heftig Informationen ausgetauscht und mehr oder minder qualifiziert die Lücken geschlossen. Minder qualifiziert deswegen, weil keiner der Fans die Quellen seines Wissens offenlegt. Er stellt ein oder mehrere Fotos ins Netz, ergänzt um schriftliche Angaben – aber stets ohne Quellenangabe. D.h. für die anderen sind dann die Informationen nicht überprüfbar. So geistern einmal kommunizierte falsche Informationen in allen Foren herum, bis alle glauben, dass sie richtig sind. Auch Lancia war nicht immer qualitätsbewusst: Ich habe vier Pressefotos aus dem Jahr 1966 bekommen, von denen drei schlicht falsch beschriftet waren – und schon findet man diese Angaben in den Büchern wieder, von denen man annimmt, dass sie ordentlich recherchiert oder lektoriert sind.
Entdeckt „man“ nun in Zeitschriften, Büchern und Internet ein Foto einer Fulvia, hat sie meistens die Startnummer 14 = Sandro Munaris Siegerfahrzeug der Rallye Monte Carlo = TO E24266 = telaio 818540 002258. Es gab aber 39 weitere 1,6 HF, welche über fünf Jahre bei mehreren hundert Veranstaltungen eingesetzt worden waren. Eines ist sicher, sie hatten nicht alle die Startnummer 14 (Sandro Munari hatte 1966 bei seinem ersten Start bei der Rallye Monte Carlo auf Flavia Coupé bereits die Nummer 14, auch sein erster Stratos 1975 hatte die Nummer 14). Die Bildlegenden nennen dann mehr oder minder richtig die Besatzung der Fulvia. Das kann man dann durch Recherchieren in Start- und Ergebnislisten verifizieren – die Liste welche Teams mit welcher Startnummer bei welcher Veranstaltung am Start waren, wird länger.
Die Livree der Fulvias kann hier auch etwas weiterhelfen, der Kenner kann ja die HF, die 1,3 HF und die 1,6 HF („Fanalone“) leicht unterscheiden. Rot waren sie fast alle (nur zwei Ausnahmen habe ich gefunden). Bis 1969 war das Anbringen von Werbung auf den Fahrzeugen durch die Sportgesetze verboten. Erst 1970 erschienen die Fulvias mit schwarzer Motorhaube und dem Schriftzug „Lancia“ auf der Motorhaube, 1971 und 1972 trug man bereits den Schriftzug „Lancia Italia“ stolz an der Wagenfront. Ab Oktober 1972 (Rallye San Remo) waren die Fulvias Zigarettenschachteln – und das bis zum Ende der Werkseinsätze bei der Worldcup-Rallye 1974.
Zu Identifikation des Fahrzeuges musste das Foto von vorne oder hinten gemacht worden sein – von hinten war bereits mehr als die halbe Miete: groß, meist klar lesbar -> TO B79057 und Startnummer 70 -> TAP Rallye Portugal 1970 -> Munari/Mannucci = telaio 818.540 001285. Aufgabe erfüllt, wieder ein Einsatz dokumentiert. Aber leider nahmen die Fotografen wegen der Dynamik die Fahrzeuge meist von vorne auf – und damit sind wir wieder beim Titel des Berichtes. Entweder nimmt man eine Lupe und inspiziert die vordere Nummer, oder man scannt das Foto und untersucht es mit Hilfe eines Fotobearbeitungsprogrammes – sofern erkennbar: 970376 TO = telaio 818.340 001281. Startnummer 57 = Österr. Alpenfahrt 1968. Aber nicht jeder Fotograf hat so toll fotografiert wie Alois Rottensteiner. Das berühmte Niederalpl-Foto ist ein aufgelegter Elfer für Kenner.
Zur „Strafverschärfung“ meldete Lancia die Fahrzeuge für den Straßenverkehr oft gruppenweise an, sodass sich Nummernserien ergaben. Richtig – nur an der letzten Stelle vor dem TO auseinander zu kennen. Z.B. 1,3 HF TO 900048 bis TO 900053, 1,3 HF TO 970370 bis TO 970377, 1,6 HF TO B51443 bis TO B51447 usw.
Ich will Sie nicht länger quälen, es dauerte über 10 Jahre bis ich die ca. 530 Einsätze einzeln zugeordnet hatte, es blieben dabei aber ca. 65 nicht identifizierte Einsätze, wo entweder kein Foto aufzutreiben war oder das Fahrzeug mit allen Bildmaterial nicht zu identifizieren war.
Und dann habe ich in dem französischen Forum Kontakt zu einem italienischen Lancia-Fan bekommen, der innerhalb von drei Tagen sechs weiße Flecken in meinen Listen füllen konnte – mit Foto!
Warum waren die italienischen Nummerntafeln so klein?
E. Marquart / 9.2011