Startseite » Alle Beiträge » Lancia-Söldner in Turin

Lancia-Söldner in Turin

Regionaldenken gut, Nationalbewusstsein besser, aber Chauvinismus nix gut. Cesare Fiorio sprang locker über italienische Vorurteile, um mit seiner HF Squadra Corse Erfolg zu haben – und engagierte ausländische Profis, vorzugsweise aus Skandinavien und England

Wie bereits im Beitrag über die noch existierenden Werks-Fulvias „Fulvia nowhere“ angedroht, erfolgt nun eine weitere Sicht auf die erarbeiteten Bild- und Literaturtabellen über die Einsätze des Reparto Corse Lancia mit Fulvias. Wer hat die Fulvias im Werksauftrag gefahren, wie setzte sich die Mannschaft zusammen?

Der erste Lancia-Söldner: Ove Andersson - 2. Platz Monte Carlo 1967
Der erste Lancia-Söldner: Ove Andersson – 2. Platz Monte Carlo 1967

Die „alten“ Römer, die Stadtstaaten Italiens in der frühen Neuzeit und der Kirchenstaat machten es – sie warben für militärische und technische Aufgaben Söldner aus fremden Ländern an. So kamen die Germanen nach Italien, die Mohren nach Venedig und die Schweizer Garde in den Vatikan. Dieses Erfolgsrezept verwendete auch Cesare Fiorio als Leiter der Sportabteilung „Lancia Reparto Corse“ ab den frühen 1960er-Jahren. Natürlich gab es einige italienische Fahrer mit der entsprechenden Qualifikation, – die Brüder Frescobaldi, Leo Cella, Marco Crosina, Sandro Munari, Claudio Maglioli, Franco Patria, Giorgio Pianta – doch auch der schönste Chauvinismus führt nur bedingt zum Erfolg – siehe Renault Alpine 1971, als Ove Andersson mit vier Siegen alleine die Markenweltmeisterschaft für Alpine errang.

Der tapferste und längstdienende Lancia-Söldner: Harry Källström 1968 - 1973 (Europameister 1969)
Der tapferste und längstdienende Lancia-Söldner: Harry Källström 1968 – 1973 (Europameister 1969)

 

Schon auf den Flavias waren ausländische Fahrer im Solde des Reparto Corse unterwegs gewesen („paven“ Ove Andersson und René Trautmann), mit dem Einsatz des Fulvia Coupés wurde diese Politik verstärkt eingesetzt. Neben den italienischen Spitzenleuten wurde regional Fahrer aus verschiedenen Ländern verpflichtet, selektiv und als „Massenware“ (z.B. Rallye Monte Carlo 1968, als nicht weniger als fünf ausländische Teams auf den Werks-1,3 HF starteten). Ab dem Jahr 1969 wurden neben Sandro Munari und den Söldnern auch italienische Fahrer eingesetzt: Sergio Barbasio, Amilcare Ballestrieri, Giorgio Pelganta, Mauro Pregliasco und als „Einspringer“ Arnoldo Cavalari vom Jolly Club.

Der Wandel der Wettbewerbsbedingungen – die Sonderprüfungen auf abgesperrten Straßen gewannen gegenüber der strafpunktefreien Bewältigung der Strecke immer mehr an Bedeutung – und die in Skandinavien entwickelte Fahrtechnik des Linksbremsens für Heck- (Volvo, Escort, Renault) und Fronttriebler (Saab, Mini) verlangten den Einsatz von Spezialisten. Auch Stuart Turner von BMC, später Ford, setzte auf Skandinavier – und der Erfolg gab ihm Recht.

Lancia-Söldner: Simo Lampinen am Start Alpenfahrt 1970 - er blieb bis in die Stratos-Zeit (Archiv TMW Wien)
Lancia-Söldner: Simo Lampinen am Start Alpenfahrt 1970 – er blieb bis in die Stratos-Zeit (Archiv TMW Wien)

So empfahl sich für die vorderradangetriebene Fulvia auch die Anwerbung von erprobten Spitzenleuten, vor allem nach dem Tod von Leo Cella und dem Unfall von S. Munari/L. Lombardini bei der Rallye Monte Carlo 1968. Und Cesare Fiorio kleckerte nicht. Mit untrüglichem Instinkt setzte er die richtigen Fahrerinnen und Fahrer in seine laufend konkurrenzfähiger werdenden Fulvias. Dass diese Profis sich nicht an einen fertig gedeckten Tisch setzen konnten, war ihnen allerdings schnell klar geworden. Trotz des großen finanziellen Einsatzes von Lancia, der genialen Improvisationskünste der Mechaniker und Teamleitung, einer ausgefuchsten Homologierungspolitik und Nutzung aller Grauzonen der Reglements blieb die Fulvia gegenüber den stärker motorisierten Gegnern eher unterlegen. Rückblickend erzählten Rauno Aaltonen, Hannu Mikkola, Pat Moss und Simo Lampinen (durch seinen Beifahrer John Davenport) von ihren Sorgen mit der Zuverlässigkeit und dem Fahrverhalten (zuerst ohne und dann mit Sperrdifferenzial).

Lancia-Söldner: Kurzes Gastspiel 1969: Timo Makinen - nur Ausfälle! (Hier Coupe des Alpes)
Lancia-Söldner: Kurzes Gastspiel 1969: Timo Makinen – nur Ausfälle! (Hier Coupe des Alpes)

Lancia-Söldner im Doppelpack

Die Söldnertruppe war aber mindestens doppelt so groß, weil die Fahrerinnen und Fahrer ihre Beifahrer mitbrachten. Im Gegensatz zu Stuart Turners Mini-Truppe, wo neben den skandinavischen Piloten meist englische Copiloten saßen (Zitat Herbert Völker: „Damit wenigstens ein vernünftiger Mensch in dem Auto sitzt“) konnte Cesare Fiorio keine mehrsprachigen italienischen Copiloten anbieten. Berühmt ist die Geschichte von der 1000 Minuten Rallye 1970, bei der Einspringer Simo Lampinen mit Mario Mannucci trotz keiner gemeinsamen Sprache gewann.

Lancia-Söldner: Hannu Mikkola Monte Carlo 1968 - über's Niederalpl flog er im Mai 1968
Lancia-Söldner: Hannu Mikkola Monte Carlo 1968 – über’s Niederalpl flog er im Mai 1968

Ich habe 19 ausländische Piloten gezählt, wobei wegen der Quellenlage möglicherweise nicht alle Bewerbe erfasst werden konnten – drei Damen, 10 Skandinavier, zwei Engländer, zwei Franzosen, einen Polen und einen Ostafrikaner (Shekar Mehta war ja „staatenlos“). 32 Beifahrerinnen und Beifahrer drückten die Schalensitze der Fulvias, darunter Spitzenleute, die auch in anderen Rennställen tätig waren (H. Liddon, D. Stone, M. Wood und J. Davenport).

Lancia-Söldner: Pat Moss-Carlsson - hier mit Cesare Fiorio Monte Carlo 1968
Lancia-Söldner: Pat Moss-Carlsson – hier mit Cesare Fiorio Monte Carlo 1968

John Davenport ist der wichtigste Chronist der Fulvia-Einsätze. Neben seinen Büchern, die ich auszugsweise in der Literaturliste angeführt habe, sind seine Berichte in Zeitschriften zu erwähnen: „powerslide“ aus der Schweiz (Kolumne „Copilot“ zu Beginn der 1970er-Jahre) und „MotorSport“ ab 1998 aus England.

Lancia-Söldner: Rauno Aaltonen 1969 - der erste Lancia im Ziel der Safari
Lancia-Söldner: Rauno Aaltonen 1969 – der erste Lancia im Ziel der Safari

War der Einsatz der Söldner eine Erfolgsgeschichte für Lancia? Ich behaupte ja, weil diese einige der namhaftesten Erfolge erzielt hatten: 1969 wurde Harry Källström Europameister auf 1,3 HF und gewann mit der 1,6 HF den Marathon de la Route auf dem Nürburgring sowie die RAC-Rallye 1969 und 1970; 1972 wurde Lancia Markenweltmeister u.a. durch den Sieg von Simo Lampinen in Marokko und wichtige Platzierungen in Monte Carlo, bei der Acropolis und der RAC. Pat Moss-Carlsson war als Gewinnerin vieler Damenpokale bis zu Geburt ihrer Tochter 1969 werbemäßig sehr wertvoll.

Lancia-Söldner: Tony Fall und John Davenport - Montecarlo 1970 - aber drei Siege für Lancia (B. Brägger, Rallye Monte-Carlo)
Lancia-Söldner: Tony Fall und John Davenport – Montecarlo 1970 – aber drei Siege für Lancia (B. Brägger, Rallye Monte-Carlo)

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten der Darstellung des Themas, ich habe die Variante „Übersicht“ gewählt In einer komprimierten Tabelle mit den Summenwerten wer, wann, wo mit welchem Erfolg – ergänzt mit ausgewählten Fotos soll der Überblick über die Söldnereinsätze gezeigt werden. Denn verbal sind die Möglichkeiten bereits eingeschränkt, dies aus Übersichts- und Copyright-Gründen. Die Erzählungen sind großteils der einschlägigen Literatur, die ich am Ende des Berichtes zusammengestellt habe, gebracht worden, eine Wiederholung erscheint daher wenig sinnvoll. Und beim Fotomaterial wird es entweder teuer oder kriminell – die Copyright-Bestimmungen sind bereits so eng formuliert, dass mit gutem Gewissen nur noch wenig attraktives Material ohne Entgelt gezeigt werden kann. Wer attraktive Fotos von Lancias bei Rallyes sucht, findet diese u.a. bei McKlein/Köln http://www.mcklein-imagedatabase.com/ . Die in diesem Berichten gezeigten Fotos sind meinen Büchern entnommen, stammen großteils aus dem Archiv des Technischen Museums Wien oder sind aus dem Internet kopiert.

Lancia-Söldner: René Trautmann beim letzten Coupe des Alpes 1971 - 4. Platz und Pokal
Lancia-Söldner: René Trautmann beim letzten Coupe des Alpes 1971 – 4. Platz und Pokal

Die Damen und Herren fuhren und errangen für Lancia folgende Ergebnisse:

Name Nat. Von-bis Starts Siege Platz.
Rauno Aaltonen FIN

1968-1969

5

3

Ove Andersson S

1966-1968

12

1

7

Vic Elford GB

1967

2

2

Tony Fall GB

1968-1970

8

3

1

Harry Källström S

1968-1973

51

7

30

Simo Lampinen FIN

1970-1973

25

4

10

N. Larson S

1971

1

1

Jorma Lusenius FIN

1966-1967

3

Timo Makinen FIN

1969

3

Hannu Mikkola FIN

1968

6

1

Shekar Mehta

1974

2

1

Pat Moss-Carlsson GB

1968-1969

12

1

5

Jean Ragnotti F

1972

1

Rosemary Smith GB

1971

1

Bengt Söderström S

1968

1

Pauli Toivonen FIN

1967

5

3

C. Bouchet-Trautmann F

1966-1969

10

1

5

René Trautmann F

1966-1969

26

2

12

Sobieslav Zasada PL

1968

1

Lancia-Söldner: Neben jedem erfolgreichen Mann sitzt eine erfolgreiche Frau - Claudine Bouchet-Trautmann beim Coupe des Alpes 1968
Lancia-Söldner: Neben jedem erfolgreichen Mann sitzt eine erfolgreiche Frau – Claudine Bouchet-Trautmann beim Coupe des Alpes 1968

Vier der maßgebenden Protagonisten der Fulvia-Geschichte sind bereits verstorben – Tony Fall 2007, Pat Moss 2008, Ove Andersson und Harry Källström 2009. Sandro Munari, Rauno Aaltonen und Simo Lampinen sind noch im Sport als geschätzte Ehrengäste und Organisatoren unterwegs, bei einigen anderen der Stammpiloten bringt die Recherche im Internet leider keine vernünftig wiedergebbaren Informationen. Sandro Munari hat zwei Bücher über seine Sporteinsätze geschrieben (1981 „La Coda del Drago“ und 2007 „Una Vita di Traverso“), Aaltonen und Lampinen verweigern freundlich, aber bestimmt, dies zu tun, sodass nur noch wenige neue Quellen für authentische Berichte zu erwarten sind. Es lebe daher der Zahlenfriedhof und Sie sollten begleitend die angeführte Literatur lesen, um die obige Tabelle mit dem Leben zu füllen, welches das schnelle Fahren mit einem Fulvia Coupé zum Vergnügen gemacht hat und macht.

Literatur

  • Altorio Enzo Lancia Fulvia HF, Mailand, 1992
  • Casucci Piero Lancia Fulvia HF, Mailand
  • Buhlmann K./Klein R. 40 Jahre Rallyesport, Wiehl-Bielsten, 2002/03
  • Davenport John Rally!, London, 1977
  • Davenport John The Guinness Book of Rallying, Enfield, 1991
  • Klein Reinhard Rally Cars, Köln, 2000
  • Manganaro A./Vinai P. Lancia Corse, Mailand, 1988
  • Marquart Ernst Wie breit sind 1000 Minuten?, Purkersdorf, 2007
  • Marquart Ernst Wir sind Rallye!, Purkersdorf, 2008
  • Marquart Ernst Fulvia in Österreich, Wien, 2009
  • Munari S./ De Agostini C. La coda del Drago, 1981
  • Munari S. / Remondino S. Una Vita di traverso, Vimodrome (MI), 2007
  • Puttini Sergio Lancia Fulvia, Flavia, Flaminia, Milano, 1989
  • Reggiani Giancarlo Lancia da competizione, Vimodrome (MI), 2000
  • Stella C./Vettore B. Zagato – Fulvia Sport Competizione, Vimodrome (MI), 2002
  • Trow Nigel Lancia Racing, London, 1987
  • Völker Herbert Das heiße Lenkrad, Wien, 1970
  • Völker Herbert Das Grosse Buch vom Rallyesport, Wien, 1979
  • Völker H./Palm G. Die Tricks der wilden Truppe, Wien, 1971
  • Weernink Wim H.J.Oude La Lancia, Stuttgart, 1992
  • Weernink Wim H.J.Oude The Lancia Fulvia and Flavia, London, 1984

E. Marquart /4.2010

Lancia-Söldner: Der letzte Auftritt: Mehta/Drews am Start der Worldcup-Rallye 1974 (Graham Robson, An Illustrated History of Rallying)
Lancia-Söldner: Der letzte Auftritt: Mehta/Drews am Start der Worldcup-Rallye 1974 (Graham Robson, An Illustrated History of Rallying)

Schreibe einen Kommentar

Sicherheitsfrage *

Ähnliche Beiträge