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Die Sportgeschichte eines Automodells war stets zweigeteilt: die Werkswagen und die der Privatfahrer ergaben das Gesamtbild. Zuerst ordnet das Werk das Modell in die FIA-Kategorie und -Klasse ein, wo es sich den meisten sportlichen Erfolg erwartet, lässt es homologieren. Nachdem die vorgeschriebene Mindestanzahl Fahrzeuge produziert sind, kann der Spaß losgehen. Und der Kreislauf beginnt: Verbesserungen werden notwendig – diese erproben, produzieren – homologieren lassen – einsetzen und an die Privatfahrer verkaufen.
Und das vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen notwendigen Verkäufe, denn Selbstzweck waren die Sporteinsätze mit Serienfahrzeugen nur selten. Betuchte und weniger betuchte Privatfahrer beobachteten die Werksaktivitäten sehr genau, denn sie suchten, abhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten, stets Fahrzeuge, mit welchen sie erfolgreich an Wettbewerben teilnehmen konnten.
Um auf die Lancia-Sportgeschichte zu kommen, will ich diesen Kreislauf am Beispiel de Fulvia Coupés beschreiben – bei der Fulvia Berlina war es schon vorher ähnlich, aber die Anzahl der Werkswagen war hier sehr gering, mit der Berlina betrieben fast ausschließlich Privatfahrer Sport. Mit dem Model HF, von dem nur 425 Exemplare – es hätten eigentlich 500 sein sollen – produziert wurden, begann der Paralleltanz Werk – Privatfahrer, die zum Teil auch in Club-Formationen antraten. Die Grenzen waren nicht genau gezogen, denn z.B. die Fulvias des Jolly Clubs Milano waren oftmals wie die Werkswagen präpariert. Von den Folgemodellen 1,3 HF wurden 882 Exemplare, von der 1,6 HF 1.258 gebaut. Die Anzahl der Werkswagen ist in der Literatur dokumentiert: 12 HF, 27 1,3 HF und 40 1,6 HF [Altorio und Weernink].
Wenn Sie jetzt die Startlisten der Rallyes der Jahre ab 1967 anschauen, finden Sie dort neben den durchschnittlich drei Werkswagen jede Menge Privatfahrer, die wahrscheinlich ihre Autos brav selbst bezahlt hatten. Und wie die Teufel fuhren, um die Werksfahrer zu besiegen. Was allerdings selten gelang, denn die fahrerische Klasse von Sandro Munari, Amilcare Ballestrieri, Sergio Barbasio, Raffaele Pinto & Co sowie die Präparierung der Werkswagen waren nicht leicht zu überbieten.
Die „Laufbahn“ der Werksfahrer ist bei den jeweiligen Biografien beschrieben: „Hinaufdienen“ aus kleineren Klassen (z.B. Renault R8 Gordini) oder „Aufzeigen“ durch hervorragende Leistungen, dass Cesare Fiorio aufmerksam wurde und vielleicht die Schatzkiste der homologierten Verbesserungen auch für die Privatfahrer öffnete. Denn diese musste man kaufen, dazu mussten sie erst einmal bekannt und verfügbar sein und dazu auch noch zum Fahrzeug passen. Die HF Squadra Corse blieb besetzungsmäßig von 1968 bis 1972 nahezu unverändert, 1970 kam Simo Lampinen dazu, die Trautmanns schieden aus, aber der Kern blieb gleich. Ende 1972 wechselte Sergio Barbasio nach zwei italienischen Meistertiteln zu FIAT, im Februar 1973 verließ Harry Källström das Team. Und die Privatfahrer kämpften weiter alleinstehend oder im Rahmen von Clubs wie Jolly Club, Grifone, 3 Gazelle.
Aber die Prioritäten innerhalb des Reparto Corse Lancia hatten sich nach Gewinn der Marken-Weltmeisterschaft 1972 verschoben, der Stratos stand in der Erprobung, Sandro Munari sollte den Rallye-Europameisterschaftstitel 1973 erringen, Simo Lampinen fuhr nur noch ausgewählte Bewerbe, sodass zur Unterstützung von Amilcare Ballestrieri auf dem Weg zum italienischen Meister neue Fahrer gesucht und gefunden wurden. Und das waren zwei junge Wilde, die ab 1970 bei italienischen Rallyes aufgezeigt hatten und nun abwechselnd auf den verbliebenen Werkswagen eingesetzt wurden.
Jahr | Datum | Bewerb | Nr. | Fahrer/Beifahrer | Erg. | Auto |
Mauro Pregliasco | ||||||
1972 | 11. Nov. | Rally di San Marino | 7 | Pregliasco/Garzoglio | – | TO E51660 |
1973 | 2. Mär | San Marino | 12 | Pregliasco/Garzoglio | 3 | TO G75936 |
23. Mär | Sizilien | 5 | Pregliasco/Garzoglio | TO G75936 | ||
12. Apr | Elba | 16 | Pregliasco/Garzoglio | – | TO G75936 | |
28. Apr | Martha | 7 | Pregliasco/Garzoglio | 2 | TO H23323 | |
11. Mai | Rallye Essen | 2 | Pregliasco/Sodano | – | TO H23323 | |
31. Mai | Semperit | 10 | Pelganta/Sodano | – | TO H23323 | |
21. Juni | Goldstrand (BUL) | Pregliasco/Garzoglio | – | TO H23322 | ||
30. Juni | Alpi Orientali | 5 | Pregliasco/Garzoglio | – | TO G75936 | |
22. Juli | Alpe della Luna | 4 | Pregliasco/Garzoglio | 2 | TO G75936 | |
30. Aug | San Martino di C. | 7 | Pregliasco/Garzoglio | 4 | CN 251953 | |
15. Sep | Rally di Ancona | 3 | Pregliasco/Garzoglio | 3 | TO G36419 | |
29. Sep | Rally di 100.000 Trabucchi | 3 | Pregliasco/Garzoglio | 3 | TO G36419 | |
11. Okt | San Remo | 14 | Pregliasco/Garzoglio | 7 | TO G75936 | |
3. Nov. | Coppa Liburna | Pregliasco/Garzoglio | 3 | TO G75936 | ||
18. Nov. | Rally die 333 minuti | 4 | Pregliasco/Garzoglio | 1 | TO G75936 | |
1974 | 14. Feb. | Costa Brava | 6 | Pregliasco/Garzoglio | – | TO G36419 |
Giacomo Pelganta | ||||||
1972 | 4. Apr | Elba | 22 | Pelganta/Mannini | – | TO F35201 |
6. Mai | ÖASC-Elan | 11 | Pelganta/Sodano | – | TO D20641 | |
1. Jun | 4 Regionen | 9 | Pelganta/Maiga | – | TO E51660 | |
6. Jun | Alpi Orientali | 11 | Pelganta/Garzoglio | MI P65765 | ||
8. Jun | Semperit | 14 | Pelganta/Maiga | 7 | TO E51660 | |
22. Okt | San Remo | 18 | Pelganta/Mannini | 7 | NO 208220 | |
1973 | 19. Mär | Cittá di Cesena | 2 | Pelganta/Orlando | 4 | TO G36417 |
12. Apr | Elba | 10 | Pelganta/Mannini | – | ||
21. Apr. | Due Valli | 8 | Pelganta&Garzoglio | TO G36417 | ||
12. Mai | 999 Minuti | 4 | Pelganta/Garzoglio | 5 | TO G36418 | |
1. Jun | 4 Regionen | 5 | Pelganta/Garzoglio | 4 | TO H23323 | |
25. Nov. | Valli Imperiesi | 4 | Pelganta/Orlando | (.) | TO G36417 |
Giacomo Pelganta und Mauro Pregliasco (Baujahr 1944) fuhren in der ausklingenden Fulvia-Periode 1972 und 1973 neben Sandro Munari und Amilcare Ballestrieri die Werkswagen in den italienischen Bewerben und waren oftmals schneller als die „alten Herren“, die sich die jungen Wilden nur mit Mühe vom Leib halten konnten. Beide fuhren auch in der Stratos-Periode Werks- und Privatfahrzeuge, wobei Cesare Fiorio für die Weltmeisterschaftsläufe neben Simo Lampinen und Raffaele Pinto international bekannte Fahrer wie Björn Waldegård und J.C. Andruet einsetzte.
1972 und 1973 stieg Lancia mit begrenztem Einsatz auch in die neue Rallycross-Szene ein. Einige der älteren Rallye-Wagen wurden für diese neuen Bewerbe „geopfert“, bei denen die Fahrzeuge brutal „verbraucht“ wurden. Mauro Pregliasco fuhr die Fulvia TO E51658 zum Gewinn der Trofeo Vitaloni Yazaki, um die in drei Läufen im Herbst 1972 gefahren wurde.
Mauro Pregliasco fuhr dann 1974 und 1975 ein Gruppe-4-Beta Coupé neben Simo Lampinen – diese Einsätze in Europa und Nordamerika hat Gerald Wöss in seinen Beta-Berichten beschrieben.
Giacomo Pelganta gewann 1973 den nationalen italienischen Rally-Cup, Rallyemeister war Amilcare Ballestrieri geworden. Die Krönung zum Cup-Sieger war mit Schwierigkeiten verbunden, weil Pelgantas Werks-Fulvia beim letzten Bewerb „Valli di Imperiesi“ wegen unerlaubter Befestigungen der Windschutzscheibe disqualifiziert worden war. Ballestrieri war mit den Homologierungspapieren bereits abgereist, sodass erst später nach Protest die Verifizierung vorgenommen und der Gewinn bestätigt werden konnte.
Die weitere Karriere der beiden Herren nach der Fulvia-Zeit habe ich nicht mehr verfolgt, laut Wikipedia wurde Mauro Pregliasco u.a. 1977 auf Stratos italienischer Rallyemeister. Ich traf Mauro Pregliasco 2016 bei einem Fulvia-Meeting in Caraglio/Piemont, konnte ihm eines meiner Bücher in die Hand drücken, er revanchierte sich mit einer Hochglanz-Broschüre über seine Sportkarriere mit persönlicher Widmung – die nächste Generation, bei der die Werbung bereits zum Handwerk gehörte.
E. Marquart / 9.2019
Herzlichen Dank für den informativen Bericht über zwei wenig bekannte Fahrer.
B.Binder
Herr Marquart, erneut ein Artikel der den Sport mit Fulvias abseits des Reparto Corse Lancia. Und die Jungen Wilden bilden die „next gereration – nuova generazione“.
Danke dafür.
Henrik Stavorinus
Herr Marquart,
dies ist ein weiterer Artikel, den die neuen Lancisti bei Ihnen entdecke müssen. Sie haben Quellen, Hintergründe und Wissen, die sich dann zu solchen interessanten Geschichten / Berichten formulieren. Ihre Zuordnung der Nummernschilder zu den Fahrzeugen zur Identifikation ist immer eine gute Hilfe.
Dank Frau Binders Hinweis habe ich ihn schneller gefunden und mit großer Spannung gelesen.
Henrik Stavorinus
hallo Hannes-wieder ein ganz interessanter bericht aus deinem nahezu unfaßbaren wissen-ich freue mich schon wieder auf den nächsten bericht-
liebe grüße
joschi mayrhofer