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Die Auferstehung

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Kennen Sie den? Kommt ein Mann mit einem eingefrorenen Hendl zum Arzt und fragt: „Kann man das Huhn wieder zum Leben erwecken?“ „Natürlich“, sagte der Arzt, „wenn Sie fest an den lieben Gott, Wunder und die Auferstehung glauben.“

 Dieser Witz fiel mir ein, als ich das Flavia Coupé Baujahr 2010 nach vielen Jahren wiedersah. Die Flavia parkte die letzten 20 Jahre im Freien, zumindest auf einem asphaltierten Platz aber mit dem Heck hing sie fast im Liesingbach. Ein trauriger Anblick! Nach langem Überlegen und gutem Zureden von Christian Zach holte ich mir den Haufen Elend zu mir in die Firma. Mutter Natur war offensichtlich fest entschlossen, sich das Auto zurück zu holen. Zuerst galt es mit dem Hochdruckreiniger die Flavia von Moos, Laub, Humus, Algen und sonstigen biologischen Ablagerungen zu befreien, um den darunter vermuteten Rosthaufen näher begutachten zu können.

 

Auferstehung Flavia Coupé – Status Herbst 2010

Nach einer Stunde intensiver Reinigung kam – zumindest auf den ersten Blick – wieder ein Auto zum Vorschein. Die lange Standzeit im Freien war der der Flavia trotzdem anzusehen. Rost, wohin man schaute. Chromteile, Stoßstangen, Maskengitter, Scheinwerferringe und sonstiger Zierkram waren nur noch ein Fall für den Schrotthändler.

Auferstehung Flavia Coupé – Nach der ersten Wäsche

So – und was jetzt? Was mache ich mit dem Auto? Ein Blick ins Innere der Flavia stimmte mich auch nicht gerade fröhlicher. Das Armaturenbrett, der Tachometer und die sonstige Innenausstattung sahen zum Fürchten aus.

Auch der Motorraum hatte die letzten zwanzig Jahre stark gelitten. Irgendwelche Teile kann man immer brauchen, sagte ich mir und begann die arme Flavia zu zerlegen.

 Es interessierte mich brennend, ob der Motor fest steckt oder nicht. Kaum zu glauben der Motor ließ sich per Hand leicht durchdrehen! Wenn er sich durchdrehen lässt, muss er doch auch anspringen. Ich schloss eine Wette mit der Flavia und mir ab: Wenn die Flavia anspringt dann wird sie restauriert, wenn nicht wird sie entsorgt!

 

Auferstehung Flavia Coupé – der „Kommandostand“

 

Auferstehung Flavia Coupé – der Motorraum

Kurzer Hand holte ich eine Batterie und ein Starterkabeln. Siehe da der Starter funktionierte. Die Drosselklappe des Vergasers war jedoch eingerostet. Hammer und Durchschlag lösten das Problem. Einem ersten Startversuch stand damit nichts mehr im Weg.

Einen Becher Benzin in den Vergaser schütten, Starter kurzschließen – einmal, zweimal. Zu meiner  Überraschung sprang der Motor nach zwanzig Jahren erstmals wieder an!
Die Werkstatt war voller Ruß und Rauch, aber die Flavia lebte. Ein Helfer sollte auf das Öldruckmanometer schauen, ob sich der Zeiger auch bewegt. Auch beim zweiten Versuch sprang der Motor sofort an und der Öldruckzeiger bewegte sich nach oben.

Die Flavia hatte also die Wette gegen mich gewonnen und durfte „auferstehen“.

Auferstehung Flavia Coupé – „zeitgenössische Werbung“ auf der Heckscheibe

Das Zerlegen der Flavia ging zügig voran. Alle Schritte wurden photographisch dokumentiert, um später keine Probleme beim Zusammenbau zu bekommen. Nun begann die Suche nach einem „guten, preisgünstigen und flotten Spengler“. Eine Nadel im Heuhaufen zu finden, ist leichter. Alle mir bekannten Spengler wandten sich mit Grauen ab oder waren einfach viel zu teuer. Wie es der Zufall, wollte kam ein Kunde vorbei, der gerade sein Beta Coupé aus Polen zurückgebracht hatte. Die Arbeit schaute auf den ersten Blick nicht übel aus, und so entschloss ich mich einmal dort nachzufragen. Nach ein paar Tagen kam der Bruder des Spenglers nach Wien, um die Flavia zu besichtigen. Mit etwas mulmigen Gefühl beobachtete ich den Mann, der sich in nobles Schweigen hüllte. Wenn er gesagt hätte „Schmeißen Sie den Lancia weg“, wäre ich ihm auch nicht böse gewesen. Nach der Bestandsaufnahme mit dem Fotoapparat, erbat er sich einige Tage Bedenkzeit. Es blieb spannend.

 

Auferstehung Flavia Coupé – die „gesunde“ Substanz der Karosserie

Nach ein paar Tagen der erlösende Anruf aus Polen: „Wir machen die Flavia“. Auch die Preisvorstellung des Spenglers blieb in einem leistbaren Rahmen. Am Staatsfeiertag 2011 wurde die „Rostbombe“ aufgeladen. Ab nach Polen damit!

Auferstehung Flavia Coupé – so kam sie aus Polen zurück

Dann spielte mir meine Gesundheit einen Streich und das Projekt Flavia rückte in den Hintergrund. Im Sommer 2012 wurde die Flavia geliefert, fertig lackiert und bereit für den Zusammenbau.

Schon beim Zerlegen wurde es offensichtlich, dass viele Teile unbrauchbar waren, und da es für die Flavia keinen großen Markt gibt, kamen noch zwei Flavia Coupés dazu, die als Teileträger dienen sollten.
Wann immer es meine Zeit erlaubte, wurden die diversesten Teile aufgearbeitet. Das dauerte seine Zeit.

 

Auferstehung Flavia Coupé – nicht alles wurde in Polen restauriert

Der Hilfsrahmen wurde gestrahlt, lackiert, zusammengebaut und schlussendlich eingebaut. Genauso wurden im Vorfeld alle anderen Teile aufgearbeitet.

Das Getriebe hat ein Freund in Graz, der langjährige Erfahrung damit hat, überholt. Die Bremsenteile wurden größtenteils verzinkt und nach und nach eingebaut.

Im Herbst 2016, weit entfernt von einer Fertigstellung, bekam ich die Ausschreibung der Ennstal–Classic zugeschickt und mir kam die verrückte Idee „Die fahre ich mit der Flavia“. Irgendwie brauchte ich einen Motivationsschub.  Beifahrer gesucht und gefunden. Ein alter Freund aus der Lancia Rallyezeit, nämlich kein geringerer als Daniele Audetto, sagte zu mit mir die Ennstal-Classic zu fahren. Jetzt war der Zeitdruck noch größer.

Auferstehung Flavia Coupé – der Fortschritt ist auch für Laien erkennbar

Im Winter 2016/17 wurde die Elektrik komplett erneuert und gleichzeitig einige nützliche Dinge zusätzlich verkabelt. Im Februar ging die Flavia dann zum Tapezierer. Bis jetzt war alles einiger Maßen noch im Zeitplan – doch wie es das Schicksal so will, wurde der Tapezierer krank und die Arbeit stand einige Zeit still. Erst Ende März konnte ich die Flavia wieder abholen. Auch der Elektriker konnte endlich wieder weiterarbeiten – Sitze bei der Firma Jansen bestellt – Sitze eingepasst – Stoßstangen in Vietnam (!) bestellt – und schnellstens geliefert. Scheinwerfer, Heckleuchten, Maskengitter und Stoßstangen eingebaut.

Klingt alles recht einfach, es war aber leider nicht immer so. Da die Flavia größtenteils bei Pininfarina in Handarbeit gebaut wurde, ist die Passgenauigkeit sehr fragwürdig. Jedes Teil, das noch zu gebrauchen war, hat einigermaßen gepasst, aber Teile von anderen Flavia Coupés waren eine mittlere Katastrophe. Die Zeit begann mir abermals unaufhörlich davon zu laufen.

Auferstehung Flavia Coupé – der Innenraum nähert sich der Fertigstellung

Anfang Mai war der Motor an der Reihe, Werner Fessl gab mir einen heißen Tipp: In Ungarn gäbe es einen hervorragenden, Lancia-erfahrenen Motorenbauer. Gesagt, getan. Schon einige Tage später holte er den zerlegten und gereinigten Motor ab. Ich gab ihm eine Liste mit Wünschen mit und nach zwei Tagen kam der Kostenvoranschlag. Die Preise waren annehmbar und der Auftrag wurde nach Ungarn vergeben.

 Knappe drei Wochen später wurde der Motor geliefert. Kurbelwelle geschliffen, Zylinderbüchsen gebohrt, Kolben angefertigt, Zylinderköpfe geplant, Ventilführungen erneuert, Ventile eingeschliffen, Pleuel ausgewinkelt und ausgebüchst.

Jetzt galt es, den Motor wieder zusammenzubauen. Mein Problem war allerdings, dass ich den letzten Flavia-Motor vor gut dreißig Jahren zusammengebaut hatte. Ich musste mich voll konzentrieren, um keinen Fehler zu machen – was mir auch gelang.

Auferstehung Flavia Coupé – schöner als neu!
Auferstehung Flavia Coupé – der eingebaute Motor

Nach dem Einbau des Motors war wieder der Elektriker am Zug, um die letzten „Strom-Arbeiten“ abzuschließen. Womit der Elektriker nicht gerechnet hatte war ein „Ei“ von mir: Den Anschluss des Blinker/Lichtschalters hatte ich selbst gemacht und falsch angeschlossen. Daran verzweifelte er beinahe. Nach langer Fehlersuche fand er das Ei. An diesem Tag hat er mich sicher nicht in sein Abendgebet eingeschlossen.

 

 

 

Auferstehung Flavia Coupé – es kann sich nur noch um Minuten handeln

Nachdem alle Kabel, Schläuche, Gas– und Chokerzüge angeschlossen waren, gab es den ersten Startversuch. Da die Flavia serienmäßig eine elektrische Benzinpumpe hat, war das Starten eine leichte Übung. Nachdem ich vorerst ohne Zündung und Zündkerzen den Motor leer durchdrehen ließ, um vor dem ersten Anspringen schon Öldruck zu haben, war der erste richtigen Startversuch nur mehr eine pro-Forma-Sache. Der Motor sprang sofort an und schnurrte vom ersten Augenblick wunderbar vor sich hin.

Nun stand einer Probefahrt fast (!) nichts mehr im Weg. Reifen besorgt und auf die neu lackierten Felgen montiert. Sitze eingebaut – das überholte Lenkrad und Armaturenbrett wieder montiert und los ging es.

Ganz vorsichtig fuhr ich die ersten Meter – jedes Geräusch, jeder Knackser wurde registriert, aber die Flavia überlebte die ersten Meter großartig. Zur Sicherheit zog ich alle Schrauben noch einmal nach, bevor ich mich auf eine größere Runde wagte. Dabei tauchte das erste Problem auf, das mich noch lange verfolgen sollte. Die Bremsanlage funktionierte nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich identifizierte den Hauptbremszylinder als Ursache. Also noch einmal zerlegen. Sämtliche Manschetten des HBZ hatten sich aufgelöst. Scheinbar war das Manschettenmaterial überaltert und die neue Bremsflüssigkeit hatte sie aufgelöst. Ich besorgte mir neue Manschetten. Nach der nächsten Probefahrt war die Bremse zwar wesentlich besser, aber noch immer nicht so, wie ich das von einer Flavia-Bremse gewohnt war. Diesmal war ich mit meinem Latein am Ende.

Auferstehung Flavia Coupé – das Sorgenkind

Ich holte Bremsexperten zu mir in die Werkstatt, keiner von ihnen wusste so wirklich Rat. Da die Ennstal-Classic im Juli immer näher rückte und mir die Zeit davonlief, wechselte ich kurzfristig das Auto zur Ennstal-Classic. (siehe Ennstal-Bericht 2017). Nach der Rallye befasste ich mich intensiv mit der Bremse, erst nach langer Suche wurde ich fündig. Schuld war eine „Überrestaurierung“. Das Servogerät war besser überholt worden als es seinerzeit gebaut wurde und hier entstand die Fehlerquelle.

 Jetzt konnte ich endlich beruhigt die Fahrt mit der Flavia genießen.

 

Auferstehung Flavia Coupé – Herbst 2017

Die Ennstal–Classic 2018 war ein Genuss und außer einem „Fingerhut“ Öl nachfüllen, musste ich während der ganzen Veranstaltung nichts tun.

Ennstal-Classic 2018 – Flavia am Start auf dem Salzburgring

Mittlerweile habe ich schon einige tausend Kilometer abgespult. Jeden Meter, den ich zurücklege, genieße ich. Eine größere Reise hat mich problemlos ins Geburtsland meiner Flavia gebracht, auch sie hat sich dort sehr wohlgefühlt.
Leistungsmäßig ist die Flavia zwar kein Riese, aber ein sehr bequemes  Reiseauto (das hatten auch die Tester vor mehr als 50 Jahren festgestellt). Der Kofferraum bringt mich jedes Mal zum Staunen, was da alles in die Flavia hinein passt.

Abschließend bedanke ich mich bei den vielen Helfer, die mir immer wieder Mut zusprachen, wenn ich „leicht“ verzweifelt war. Egal, ob ein ehemaliger Mitarbeiter, mein Garagennachbar oder Martin Oehler, der wie immer eine perfekte Elektrik in meine Flavia hineinzauberte. Last but not least bedanke ich mich bei meiner Frau Claire, die mich monatelang immer nur morgens und abends sah. Sie hat sich wahrlich den größten Dank verdient!

Wahrscheinlich hätte ich in Italien ein billigeres Auto bekommen können, aber ein mit so viel Liebe und Hingabe restauriertes Fahrzeug sicherlich nicht.

Ein Rat zum Schluss:  Wer die Möglichkeit hat, eine komplette Restaurierung selbst zu machen oder zu mindestens diese intensiv zu begleiten, sollte dies tun. Bei so einer Restaurierung lernt man seinen Lancia bis ins letzte Detail kennen und vor allem ist man dann mit der Technik bestens vertraut. Das kann sich nur positiv auswirken und das Fahren mit dem selbst restaurierten Lancia wird zu einem noch größeren Genuss.

 

Helmut J. Neverla / 4.2019

 

Auferstehung Flavia Coupé – 2010 – 2017

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